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FRIEDRICH SCHLEIERMACHER
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Friedrich Schleiermacher's essay "Über die verschiedenen Methoden des Übersezens" (On the Different Methods of Translating) was first published as a lecture, delivered 24 June 1813, at a meeting of the Royal Academy of Sciences (Königlichen Akademie der Wissenschaften) in Berlin. The German text reproduced here is taken from Friedrich Schleiermacher's sämmtliche Werke. Dritte Abtheilung. Zur Philosophie. Zweiter Band (Berlin, 1838), pp. 207-45.
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Die Thatsache, daß eine Rede aus einer Sprache in die andere übertragen wird, kommt uns unter den mannigfaltigsten Gestalten überall entgegen. Wenn auf der einen Seite dadurch Menschen in Berührung kommen können, welche ursprünglich vielleicht um den Durchmesser der Erde von einander entfernt sind; wenn in eine Sprache aufgenommen werden können die Erzeugnisse einer andern schon seit vielen Jahrhunderten erstorbenen: so dürfen wir auf der andern Seite nicht einmal über das Gebiet Einer Sprache hinausgehen, um dieselbe Erscheinung anzutreffen. Denn nicht nur daß die Mundarten verschiedener Stämme eines Volkes und die verschiedenen Entwicklungen derselben Sprache oder Mundart in verschiedenen Jahrhunderten schon in einem engeren Sinne verschiedene Sprachen sind, und nicht selten einer vollständigen Dolmetschung unter einander bedürfen; selbst Zeitgenossen, nicht durch die Mundart getrennte, nur aus verschiedenen Volksklassen, welche durch den Umgang wenig verbunden in ihrer Bildung weit auseinander gehen, können sich öfters nur durch eine ähnliche Vermittlung verstehen. Ja sind wir nicht häufig genöthiget, uns die Rede eines andern, der ganz unseres gleichen ist aber von anderer Sinnes – und Gemüthsart, erst zu übersezen? Wenn wir nämlich fühlen daß dieselben Worte in unserm Munde einen ganz anderen Sinn oder wenigstens hier einen stärkeren dort einen schwächeren Gehalt haben würden als in dem seinigen, und daß, wenn wir dasselbe was er meint ausdrükken wollten, wir nach unserer Art uns ganz anderer Wörter und Wendungen bedienen würden: so scheint, indem wir uns dies Gefühl näher bestimmen, und es uns zum Gedanken wird, daß wir übersezen. Ja unsere eigene Reden müssen wir bisweilen nach einiger Zeit übersezen, wenn wir sie uns recht wieder aneignen wollen. Und nicht nur dazu wird diese Fertigkeit geübt, um was eine Sprache im Gebiet der Wissenschaften und der redenden Künste hervorgebracht hat, in fremden Boden zu verpflanzen und dadurch den Wirkungskreis dieser Erzeugnisse des Geistes zu vergrößern; sondern sie wird auch geübt im Gewerbsverkehr zwischen einzelnen verschiedener Völker, und im diplomatischen Verkehr unabhängiger Regierungen mit einander, deren jede nur in ihrer eigenen Sprache zur andern zu reden pflegt, wenn sie, ohne sich einer todten Sprache zu bedienen, streng auf Gleichheit halten wollen.
Allein natürlich, nicht alles was in diesem weiten Umkreise liegt, wollen wir in unsere jezige Betrachtung hineinziehen. Jene Nothwendigkeit auch innerhalb der eignen Sprache und Mundart zu übersezen, mehr oder minder ein augenblikkliches Bedürfniß des Gemüthes, ist eben auch in ihrer Wirkung zu sehr auf den Augenblikk beschränkt, um anderer Leitung als der des Gefühls zu bedürfen; und wenn Regeln darüber sollten gegeben werden, könnten es nur jene sein, durch deren Befolgung der Mensch sich eine rein sittliche Stimmung erhält, damit der Sinn auch für das minder verwandte geöffnet bleibe. Sondern wir nun dieses ab, und bleiben stehen zunächst bei dem Übertragen aus einer fremden Sprache in die unsrige; so werden wir auch hier zwei verschiedene Gebiete — freilich nicht ganz bestimmt, wie denn das selten gelingt, sondern nur mit verwaschenen Grenzen, aber doch wenn man auf die Endpunkte sieht deutlich genug — unterscheiden können. Der Dolmetscher nämlich verwaltet sein Amt in dem Gebiete des Geschäftslebens, der eigentliche Übersetzer vornämlich in dem Gebiete der Wissenschaft und Kunst. Wenn man diese Wortbestimmung willkührlich findet, da man gewöhnlich unter dem Dolmetschen mehr das mündliche, unter dem Übersetzen das schriftliche versteht, so verzeihe man sie der Bequemlichkeit für das gegenwärtige Bedürfniß um so mehr, als doch beide Bestimmungen nicht gar weit entfernt sind. Dem Gebiete der Kunst und der Wissenschaft eignet die Schrift, durch welche allein ihre Werke beharrlich werden; und wissenschaftliche oder künstlerische Erzeugnisse von Mund zu Mund zu dolmetschen, wäre eben so unnüz, als es unmöglich zu sein scheint. Den Geschäften dagegen ist die Schrift nur mechanisches Mittel; das mündliche Verhandeln ist darin das ursprüngliche, und jede schriftliche Dolmetschung ist eigentlich nur als Aufzeichnung einer mündlichen anzusehen.
Sehr nahe dem Geist und der Art nach schließen sich diesem Gebiete zwei andere an, die jedoch bei der großen Mannigfaltigkeit der dahin gehörigen Gegenstände schon einen Übergang bilden zum Gebiet der Kunst das eine, das andere zu dem der Wissenschaft. Nämlich jede Verhandlung, bei welcher das Dolmetschen vorkommt, ist auf der einen Seite eine Thatsache, deren Hergang in zwei verschiedenen Sprachen aufgefaßt wird. Aber auch die Übersezung von Schriften rein erzählender oder beschreibender Art, welche also nur den schon beschriebenen Hergang einer Thatsache in eine andere Sprache überträgt, kann noch sehr viel von dem Geschäft des Dolmetschers an sich haben. Je weniger in der Urschrift der Verfasser selbst heraustrat, je mehr er lediglich als auffassendes Organ des Gegenstandes handelte und der Ordnung des Raumes und der Zeit nachging, um desto mehr kommt es bei der Übertragung auf ein bloßes Dolmetschen an. So schließt sich der Übersezer von Zeitungsartikeln und gewöhnlichen Reisebeschreibungen zunächst an den Dolmetscher an, und es kann lächerlich werden wenn seine Arbeit größere Ansprüche macht und er dafür angesehen sein will als Künstler verfahren zu haben. Je mehr hingegen des Verfassers eigenthümliche Art zu sehen und zu verbinden in der Darstellung vorgewaltet hat, je mehr er irgend einer frei gewählten oder durch den Eindrukk bestimmten Ordnung gefolgt ist, desto mehr spielt schon seine Arbeit in das höhere Gebiet der Kunst hinüber, und auch der Übersezer muß dann schon andere Kräfte und Geschikklichkeiten zu seiner Arbeit bringen und in einem anderen Sinne mit seinem Schriftsteller und dessen Sprache bekannt sein als der Dolmetscher. Auf der andern Seite ist in der Regel jede Verhandlung, bei welcher gedolmetscht wird, eine Festsezung eines besonderen Falles nach bestimmten Rechtsverhältnissen; die Übertragung geschieht nur für die Theilnehmer, denen diese Verhältnisse hinreichend bekannt sind, und die Ausdrükke derselben in beiden Sprachen sind entweder gesezlich oder durch Gebrauch und gegenseitige Erklärungen bestimmt. Aber ein anderes ist es mit Verhandlungen, wiewol sie sehr oft der Form nach jenen ganz ähnlich sind, durch welche neue Rechtsverhältnisse bestimmt werden. Je weniger diese selbst wieder als ein besonderes unter einem hinreichend bekannten allgemeinen können betrachtet werden, desto mehr wissenschaftliche Kenntniß und Umsicht erfordert schon die Abfassung, und desto mehr wissenschaftliche Sach – und Sprachkenntniß wird auch der Übersezer zu seinem Geschäft bedürfen. Auf dieser zwiefachen Stufenleiter also erhebt sich der Übersezer immer mehr über den Dolmetscher, bis zu seinem eigenthümlichsten Gebiet, nämlich jenen geistigen Erzeugnissen der Kunst und Wissenschaft, in denen das freie eigenthümliche combinatorische Vermögen des Verfassers an der einen der Geist der Sprache mit dem in ihr niedergelegten System der Anschauungen und Abschattung der Gemüthsstimmungen auf der anderen Seite alles sind, der Gegenstand auf keine Weise mehr herrscht, sondern von dem Gedanken und Gemüth beherrscht wird, ja oft erst durch die Rede geworden und nur mit ihr zugleich da ist.
Worin aber gründet sich nun dieser bedeutende Unterschied, den jeder schon auf den Grenzgegenden inne wird, der aber an den äußersten Enden am stärksten in die Augen leuchtet? Im Geschäftsleben hat man es größtentheils mit vor Augen liegenden, wenigstens mit möglichst genau bestimmten Gegenständen zu thun; alle Verhandlungen haben gewissermaßen einen arithmetischen oder geometrischen Charakter, Zahl und Maaß kommen überall zu Hülfe; und selbst bei denen Begriffen, welche, nach dem Ausdrukk der Alten, das Mehr und Minder in sich aufnehmen und durch eine Stufenfolge von Wörtern bezeichnet werden, die im gemeinen Leben in unbestimmtem Gehalt auf – und abwogen, entsteht bald durch Gesez und Gewohnheit ein fester Gebrauch der einzelnen Wörter. Wenn also der redende nicht absichtlich um zu hintergehen verstekkte Unbestimmtheiten erkünstelt, oder aus Unbedachtsamkeit fehlt: so ist er jedem der Sache und der Sprache kundigen schlechthin verständlich, und es finden für jeden Fall nur unbedeutende Verschiedenheiten statt im Gebrauch der Sprache. Eben so, welcher Ausdrukk in der einen Sprache jedem in der andern entspreche, darüber kann selten ein Zweifel statt finden, der nicht unmittelbar gehoben werden könnte. Deshalb ist das Übertragen auf diesem Gebiet fast nur ein mechanisches Geschäft, welches bei mäßiger Kenntniß beider Sprachen jeder verrichten kann, und wobei, wenn nur das offenbar falsche vermieden wird, wenig Unterschied des besseren und schlechteren statt findet. Bei den Erzeugnissen der Kunst und Wissenschaft aber, wenn sie aus einer Sprache in die andere verpflanzt werden sollen, kommt zweierlei in Betracht, wodurch das Verhältniß ganz geändert wird. Wenn nämlich in zwei Sprachen jedem Worte der einen ein Wort der andern genau entspräche, denselben Begriff in demselben Umfang ausdrükkend; wenn ihre Beugungen dieselben Verhältnisse darstellten, und ihre Verbindungsweisen in einander aufgingen, so daß die Sprachen in der That nur für das Ohr verschieden wären: so würde dann auch auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft alles Übersezen, sofern dadurch nur die Kenntniß des Inhalts einer Rede oder Schrift mitgetheilt werden soll, eben so rein mechanisch sein, wie auf dem des Geschäftslebens; und man würde, mit Ausnahme der Wirkungen welche Ton und Tonfall hervorbringen, von jeder Übersezung sagen können, daß der ausländische Leser dadurch zu dem Verfasser und seinem Werk in dasselbe Verhältnis gesezt werde, wie der einheimische. Nun aber verhält es sich mit allen Sprachen, die nicht so nahe verwandt sind daß sie fast nur als verschiedene Mundarten können angesehen werden, gerade umgekehrt, und je weiter sie der Abstammung und der Zeit nach von einander entfernt sind, um desto mehr so, daß keinem einzigen Wort in einer Sprache eins in einer andern genau entspricht, keine Beugungsweise der einen genau dieselbe Mannigfaltigkeit von Verhältnißfällen zusammenfaßt, wie irgend eine in einer andern. Indem diese Irrationalität, daß ich mich so ausdrükke, durch alle Elemente zweier Sprachen hindurchgeht, muß sie freilich auch jenes Gebiet des bürgerlichen Verkehrs treffen. Allein es ist offenbar, daß sie hier weit weniger drükkt, und so gut als keinen Einfluß hat. Alle Wörter, welche Gegenstände und Thätigkeiten ausdrükken, auf die es ankommen kann, sind gleichsam geaicht, und wenn ja leere übervorsichtige Spizfindigkeit sich noch gegen eine mögliche ungleiche Geltung der Worte verwahren wollte, so gleicht die Sache selbst alles unmittelbar aus. Ganz anders auf jenem der Kunst und Wissenschaft zugehörigen Gebiet, und überall wo mehr der Gedanke herrscht, der mit der Rede Eins ist, nicht die Sache, als deren willkührliches vielleicht aber fest bestimmtes Zeichen das Wort nur dasteht. Denn wie unendlich schwer und verwikkelt wird hier das Geschäft! welche genaue Kenntniß und welche Beherrschung beider Sprachen sezt es voraus! und wie oft, bei der gemeinschaftlichen Überzeugung daß ein gleichgeltender Ausdrukk gar nicht zu finden sei, gehen die sachkundigsten und sprachgelehrtesten bedeutend auseinander, wenn sie angeben wollen, welches denn nun der am nächsten kommende sei. Dies gilt eben so sehr von den lebendigen malerischen Ausdrükken dichterischer Werke, als von den abgezogensten, das innerste und allgemeinste der Dinge bezeichnenden der höchsten Wissenschaft.
Das zweite aber, wodurch das eigentliche Übersezen ein ganz anderes Geschäft wird als das bloße Dolmetschen, ist dieses. Überall, wo die Rede nicht ganz durch vor Augen liegende Gegenstände oder äußere Thatsachen gebunden ist, welche sie nur aussprechen soll, wo also der redende mehr oder minder selbstthätig denkt, also sich aussprechen will, steht der redende in einem zwiefachen Verhältniß zur Sprache, und seine Rede wird schon nur richtig verstanden, in wiefern dieses Verhältnis richtig aufgefaßt wird. Jeder Mensch ist auf der einen Seite in der Gewalt der Sprache, die er redet; er und sein ganzes Denken ist ein Erzeugniß derselben. Er kann nichts mit völliger Bestimmtheit denken, was außerhalb der Grenzen derselben läge; die Gestalt seiner Begriffe, die Art und die Grenzen ihrer Verknüpfbarkeit ist ihm vorgezeichnet durch die Sprache, in der er geboren und erzogen ist, Verstand und Fantasie sind durch sie gebunden. Auf der andern Seite aber bildet jeder freidenkende geistig selbstthätige Mensch auch seinerseits die Sprache. Denn wie anders als durch diese Einwirkungen wäre sie geworden und gewachsen von ihrem ersten rohen Zustande zu der vollkommneren Ausbildung in Wissenschaft und Kunst? In diesem Sinne also ist es die lebendige Kraft des einzelnen, welche in dem bildsamen Stoff der Sprache neue Formen hervorbringt, ursprünglich nur für den augenblikklichen Zwekk ein vorübergehendes Bewußtsein mitzutheilen, von denen aber bald mehr bald minder in der Sprache zurükkbleibt und von andern aufgenommen weiter bildend um sich greift. Ja man kann sagen, nur in dem Maaß einer so auf die Sprache wirkt, verdient er weiter als in seinem jedesmaligen unmittelbaren Bereich vernommen zu werden. Jede Rede verhallt nothwendig bald, welche durch tausend Organe immer wieder eben so kann hervorgebracht werden; nur die kann und darf länger bleiben, welche einen neuen Moment im Leben der Sprache selbst bildet. Daher nun will jede freie und höhere Rede auf zwiefache Weise gefaßt sein, theils aus dem Geist der Sprache, aus deren Elementen sie zusammengesezt ist, als eine durch diesen Geist gebundene und bedingte, aus ihm in dem redenden lebendig erzeugte Darstellung; sie will auf der andern Seite gefaßt sein aus dem Gemüth des redenden als seine That, als nur aus seinem Wesen gerade so hervorgegangen und erklärbar. Ja, jegliche Rede dieser Art ist nur verstanden im höheren Sinne des Wortes, wenn diese beiden Beziehungen derselben zusammen und in ihrem wahren Verhältniß gegen einander aufgefaßt sind, so daß man weiß, welche von beiden im Ganzen oder in einzelnen Theilen vorherrscht. Man versteht die Rede auch als Handlung des redenden nur, wenn man zugleich fühlt, wo und wie die Gewalt der Sprache ihn ergriffen hat, wo an ihrer Leitung die Blize der Gedanken sich hingeschlängelt haben, wo und wie in ihren Formen die umherschweifende Fantasie ist festgehalten worden. Man versteht die Rede auch als Erzeugniß der Sprache und als Äußerung ihres Geistes nur, wenn, indem man z. B. fühlt, so konnte nur ein Hellene denken und reden, so konnte nur diese Sprache in einem menschlichen Geist wirken, man zugleich fühlt, so konnte nur dieser Mann hellenisch denken und reden, so konnte nur er die Sprache ergreifen und gestalten, so offenbart sich nur sein lebendiger Besiz des Sprachreichthums, nur ein reger Sinn für Maaß und Wohllaut, nur sein denkendes und bildendes Vermögen. Wenn nun das Verstehen auf diesem Gebiet selbst in der gleichen Sprache schon schwierig ist, und ein genaues und tiefes Eindringen in den Geist der Sprache und in die Eigenthümlichkeit des Schriftstellers in sich schließt: wie vielmehr nicht wird es eine hohe Kunst sein, wenn von den Erzeugnisseneiner fremden und fernen Sprache die Rede ist! Wer denn freilich diese Kunst des Verstehens sich angeeignet hat, durch die eifrigsten Bemühungen um die Sprache, und durch genaue Kenntniß von dem ganzen geschichtlichen Leben des Volks, und durch die lebendigste Vergegenwärtigung einzelner Werke und ihrer Urheber, den freilich, aber auch nur den, kann es gelüsten von den Meisterwerken der Kunst und Wissenschaft das gleiche Verständniß auch seinen Volks – und Zeitgenossen zu eröffnen. Aber die Bedenklichkeiten müssen sich häufen, wenn er sich die Aufgabe näher rükkt, wenn er seine Zwekke genauer bestimmen will und seine Mittel überschlägt. Soll er sich vorsezen, zwei Menschen, die so ganz von einander getrennt sind wie sein der Sprache des Schriftstellers unkundiger Sprachgenosse und der Schriftsteller selbst, diese in ein so unmittelbares Verhältniß zu bringen, wie das eines Schriftstellers und seines ursprünglichen Lesers ist? Oder wenn er auch seinen Lesern nur dasselbe Verständniß eröffnen will und denselben Genuß, dessen er sich erfreut, dem nämlich die Spuren der Mühe aufgedrükkt sind und das Gefühl des fremden beigemischt bleibt: wie kann er dieses schon, geschweige denn jenes, erreichen mit seinen Mitteln? Wenn seine Leser verstehen sollen, so müssen sie den Geist der Sprache auffassen, die dem Schriftsteller einheimisch war, sie müssen dessen eigenthümliche Denkweise und Sinnesart anschauen können; und um dies beides zu bewirken, kann er ihnen nichts darbieten als ihre eigene Sprache, die mit jener nirgends recht übereinstimmt, und als sich selbst, wie er seinen Schriftsteller bald mehr bald minder hell erkannt hat, und bald mehr bald minder ihn bewundert und billigt. Erscheint nicht das Übersezen, so betrachtet, als ein thörichtes Unternehmen? Daher hat man in der Verzweiflung dieses Ziel zu erreichen, oder, wenn man lieber will, ehe man dazu kommen konnte, sich dasselbe deutlich zu denken, nicht für den eigentlichen Kunst – und Sprachsinn, sondern für das geistige Bedürfniß auf der einen, für die geistige Kunst auf der andern Seite, zwei andere Arten erfunden, Bekanntschaft mit den Werken fremder Sprachen zu stiften, wobei man von jenen Schwierigkeiten einige gewaltsam hinwegräumt, andere klüglich umgeht, aber die hier aufgestellte Idee der Übersezung gänzlich aufgiebt; dies sind die Paraphrase und die Nachbildung. Die Paraphrase will die Irrationalität der Sprachen bezwingen, aber nur auf mechanische Weise. Sie meint, finde ich auch nicht ein Wort in meiner Sprache, welches jenem in der Ursprache entspricht, so will ich doch dessen Werth durch Hinzufügung beschränkender und erweiternder Bestimmungen möglichst zu erreichen suchen. So arbeitet sie sich zwischen lästigem zu viel und quälendem zu wenig schwerfällig durch eine Anhäufung loser Einzelheiten hindurch. Sie kann auf diese Weise den Inhalt vielleicht mit einer beschränkten Genauigkeit wiedergeben, aber auf den Eindrukk leistet sie gänzlich Verzicht; denn die lebendige Rede ist unwiederbringlich getödtet, indem jeder fühlt daß sie so nicht könne ursprünglich aus dem Gemüth eines Menschen gekommen sein. Der Paraphrast verfährt mit den Elementen beider Sprachen, als ob sie mathematische Zeichen wären, die sich durch Vermehrung und Verminderung auf gleichen Werth zurükkführen ließen, und weder der verwandelten Sprache noch der Ursprache Geist kann in diesem Verfahren erscheinen. Wenn noch außerdem die Paraphrase psychologisch die Spuren der Verbindung der Gedanken, wo sie undeutlich sind und sich verlieren wollen, durch Zwischensäze, welche sie als Merkpfähle einschlägt, zu bezeichnen sucht: so strebt sie zugleich bei schwierigen Compositionen die Stelle eines Commentars zu vertreten, und will noch weniger auf den Begriff der Übersezung zurükkgeführt sein. Die Nachbildung dagegen beugt sich unter der Irrationalität der Sprachen; sie gesteht, man könne von einem Kunstwerk der Rede kein Abbild in einer andern Sprache hervorbringen, das in seinen einzelnen Theilen den einzelnen Theilen des Urbildes genau entspräche, sondern es bleibe bei der Verschiedenheit der Sprachen, mit welcher so viele andere Verschiedenheiten wesentlich zusammenhängen, nichts anders übrig, als ein Nachbild auszuarbeiten, ein Ganzes, aus merklich von den Theilen des Urbildes verschiedenen Theilen zusammengesezt, welches dennoch in seiner Wirkung jenem Ganzen so nahe komme, als die Verschiedenheit des Materials nur immer gestatte. Ein solches Nachbild ist nun nicht mehr jenes Werk selbst, es soll darin auch keineswegs der Geist der Ursprache dargestellt werden und wirksam sein, vielmehr wird eben dem fremdartigen, was dieser hervorgebracht hat, manches andere untergelegt; sondern es soll nur ein Werk dieser Art, mit Berükksichtigung der Verschiedenheit der Sprache, der Sitten, der Bildungsweise, für seine Leser soviel möglich dasselbe sein, was das Urbild seinen ursprünglichen Lesern leistete; indem die Einerleiheit des Eindrukks gerettet werden soll, giebt man die Identität des Werkes auf. Der Nachbildner will also die beiden, den Schriftsteller und den Leser des Nachbildes, gar nicht zusammenbringen, weil er kein unmittelbares Verhältnis unter ihnen möglich hält, sondern er will nur dem lezten einen ähnlichen Eindrukk machen, wie des Urbildes Sprach – und Zeitgenossen von diesem empfingen. Die Paraphrase wird mehr angewendet auf dem Gebiet der Wissenschaften, die Nachbildung mehr auf dem der schönen Kunst; und wie jedermann gesteht daß ein Kunstwerk durch Paraphrasiren seinen Ton, seinen Glanz, seinen ganzen Kunstgehalt verliert, so hat wol noch niemand die Thorheit unternommen, von einem wissenschaftlichen Meisterwerk eine den Inhalt frei behandelnde Nachbildung geben zu wollen. Beide Verfahrungsarten aber können demjenigen nicht genügen, welcher, von dem Werth eines fremden Meisterwerkes durchdrungen, den Wirkungskreis desselben über seine Sprachgenossen verbreiten will, und welchem der strengere Begriff der Übersetzung vorschwebt. Beide können daher auch wegen ihrer Abweichung von diesem Begriff hier nicht näher beurtheilt werden; nur als Grenzzeichen für das Gebiet, mit welchem wir es zu tun haben, stehen sie hier.
Aber nun der eigentliche Übersezer, der diese beiden ganz getrennten Personen, seinen Schriftsteller und seinen Leser, wirklich einander zuführen, und dem lezten, ohne ihn jedoch aus dem Kreise seiner Muttersprache heraus zu nöthigen, zu einem möglichst richtigen und vollständigen Verständniß und Genuß des ersten verhelfen will, was für Wege kann er hiezu einschlagen? Meines Erachtens giebt es deren nur zwei. Entweder der Übersezer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen. Beide sind so gänzlich von einander verschieden, daß durchaus einer von beiden so streng als möglich muß verfolgt werden, aus jeder Vermischung aber ein höchst unzuverlässiges Resultat nothwendig hervorgeht, und zu besorgen ist daß Schriftsteller und Leser sich gänzlich verfehlen. Der Unterschied zwischen beiden Methoden, und daß dieses ihr Verhältnis gegen einander sei, muß unmittelbar einleuchten. Im ersten Falle nämlich ist der Übersezer bemüht, durch seine Arbeit dem Leser das Verstehen der Ursprache, das ihm fehlt, zu ersezen. Das nämliche Bild, den nämlichen Eindrukk, welchen er selbst durch die Kenntniß der Ursprache von dem Werke, wie es ist, gewonnen, sucht er den Lesern mitzutheilen, und sie also an seine ihnen eigentlich fremde Stelle hinzubewegen. Wenn aber die Übersezung ihren römischen Autor zum Beispiel reden lassen will wie er als Deutscher zu Deutschen würde geredet und geschrieben haben: so bewegt sie den Autor nicht etwa nur eben so bis an die Stelle des Übersezers, denn auch dem redet er nicht deutsch, sondern römisch, vielmehr rükkt sie ihn unmittelbar in die Welt der deutschen Leser hinein, und verwandelt ihn in ihres gleichen; und dieses eben ist der andere Fall. Die erste Übersezung wird vollkommen sein in ihrer Art, wenn man sagen kann, hätte der Autor eben so gut deutsch gelernt, wie der Übersezer römisch, so würde er sein ursprünglich römisch abgefaßtes Werk nicht anders übersezt haben, als der Übersezer wirklich gethan. Die andere aber, indem sie den Verfasser nicht zeigt, wie er selbst würde übersezt, sondern wie er ursprünglich als Deutscher deutsch würde geschrieben haben, hat wol schwerlich einen andern Maaßstab der Vollendung, als wenn man versichern könnte, wenn die deutschen Leser insgesammt sich in Kenner und Zeitgenossen des Verfassers verwandeln ließen, so würde ihnen das Werk selbst ganz dasselbe geworden sein, was ihnen jezt, da der Verfasser sich in einen Deutschen verwandelt hat, die Übersezung ist. Diese Methode haben offenbar alle diejenigen im Auge, welche sich der Formel bedienen, man solle einen Autor so übersezen, wie er selbst würde deutsch geschrieben haben. Aus dieser Gegeneinanderstellung erhellt wol unmittelbar, wie verschieden das Verfahren im einzelnen überall sein muß, und wie, wenn man in derselben Arbeit mit den Methoden wechseln wollte, alles unverständlich und ungedeihlich gerathen würde. Allein ich möchte auch weiter behaupten, daß es außer diesen beiden Methoden keine dritte geben könne, der ein bestimmtes Ziel vorschwebe. Es sind nämlich nicht mehr Verfahrungsarten möglich. Die beiden getrennten Partheien müssen entweder an einem mittleren Punkt zusammentreffen, und das wird immer der des Übersezers sein, oder die eine muß sich ganz zur andern verfügen, und hiervon fällt nur die eine Art in das Gebiet der Übersezung, die andere würde eintreten, wenn in unserm Fall die deutschen Leser sich ganz der römischen Sprache, oder vielmehr diese sich ihrer ganz und bis zur Umwandlung bemächtigte. Was man also sonst noch sagt von Übersezungen nach dem Buchstaben und nach dem Sinn, von treuen und freien, und was für Ausdrükke sich außerdem mögen geltend gemacht haben, wenn auch dies verschiedene Methoden sein sollen, müssen sie sich auf jene beiden zurükkführen lassen; sollen aber Fehler und Tugenden dadurch bezeichnet werden, so wird das treue und das sinnige, oder das zu buchstäbliche und zu freie der einen Methode ein anderes sein als das der andern. Meine Absicht ist daher, mit Beiseitsezung aller einzelnen über diesen Gegenstand unter den Kunstverständigen schon verhandelten Fragen, nur die allgemeinsten Züge jener beiden Methoden zu betrachten, um die Einsicht vorzubereiten, worin die eigenthümlichen Vorzüge und Schwierigkeiten einer jeden bestehen, von welcher Seite daher jede am meisten den Zwekk des Übersezens erreicht, und welches die Grenzen der Anwendbarkeit einer jeden sind. Von einer solchen allgemeinen Übersicht aus bliebe dann zweierlei zu thun, wozu diese Abhandlung nur die Einleitung ist. Man könnte für jede der beiden Methoden, mit Bezugnahme auf die verschiedenen Gattungen der Rede, eine Anweisung entwerfen, und man könnte die ausgezeichnetsten Versuche, welche nach beiden Ansichten gemacht worden sind, vergleichen, beurtheilen, und dadurch die Sache noch mehr erläutern. Beides muß ich anderen oder wenigstens einer anderen Gelegenheit überlassen.
Diejenige Methode, welche danach strebt, dem Leser durch die Übersezung den Eindrukk zu geben, den er als Deutscher aus der Lesung des Werkes in der Ursprache empfangen würde, muß freilich erst bestimmen, was für ein Verstehen der Ursprache sie gleichsam nachahmen will. Denn es giebt eines, welches sie nicht nachahmen darf, und eines welches sie nicht nachahmen kann. Jenes ist ein schülerhaftes Verstehen, das sich noch mühsam und fast ekelhaft durch das einzelne hindurchstümpert, und deshalb noch nirgend zu einem klaren Überschauen des Ganzen, zu einem lebendigen Festhalten des Zusammenhanges gedeiht. So lange der gebildete Theil eines Volkes im Ganzen noch keine Erfahrung hat von einem innigeren Eindringen in fremde Sprachen: so mögen auch diejenigen, die weiter gekommen sind, durch ihren guten Genius bewahrt bleiben, nicht Übersezungen dieser Art zu unternehmen. Denn wollten sie ihr eigenes Verstehen zum Maaßstab nehmen, so würden sie selbst wenig verstanden werden und wenig ausrichten; sollte aber ihre Übersezung das gewöhnliche Verstehen darstellen, so könnte das holperige Werk nicht zeitig genug von der Bühne heruntergepocht werden. In einem solchen Zeitraume mögen also erst freie Nachbildungen die Lust am Fremden wekken und schärfen, und Paraphrasen ein allgemeineres Verstehen vorbereiten, um so künftigen Übersetzungen Bahn zu machen.* Ein anderes Verstehen aber giebt es, welches kein Übersezer nachzubilden vermag. Denken wir uns nämlich solche wunderbare Männer, wie sie die Natur bisweilen hervorzubringen pflegt, gleichsam um zu zeigen daß sie auch die Schranken der Volksthümlichkeit in einzelnen Fällen vernichten kann, Männer die solche eigenthümliche Verwandtschaft fühlen zu einem fremden Dasein, daß sie sich in eine fremde Sprache und deren Erzeugnisse ganz hinein leben und denken, und indem sie sich ganz mit einer ausländischen Welt beschäftigen, sich die heimische Welt und heimische Sprache ganz fremd werden lassen, oder auch solche Männer, die gleichsam das Vermögen der Sprache in seinem ganzen Umfang darzustellen bestimmt sind, und denen alle Sprachen, die sie irgend erreichen können, völlig gleich gelten, und sie wie angegossen kleiden: diese stehen auf einem Punkt, wo der Werth des Übersezens Null wird; denn da bei ihrem Auffassen fremder Werke auch nicht der mindeste Einfluß der Muttersprache mehr statt findet, und sie sich ihres Verstehens auf keine Weise in der Muttersprache, sondern ganz heimisch in der Ursprache selbst unmittelbar bewußt werden, auch gar keine Incommensurabilität fühlen zwischen ihrem Denken und der Sprache worin sie lesen: so kann auch keine Übersezung ihr Verstehen erreichen oder darstellen. Und wie es hieße Wasser ins Meer gießen oder gar in den Wein, wenn man für sie übersezen wollte: so pflegen auch sie von ihrer Höhe herab nicht mit Unrecht gar mitleidig zu lächeln über die Versuche, die auf diesem Gebiet gemacht werden. Denn freilich, wenn das Publikum, für welches übersezt wird, ihnen gleich wäre, so bedürfte es dieser Mühe nicht. Das Übersezen bezieht sich also auf einen Zustand, der zwischen diesen beiden mitten inne liegt, und der Übersezer muß also sich zum Ziel stellen, seinem Leser ein solches Bild und einen solchen Genuß zu verschaffen, wie das Lesen des Werkes in der Ursprache dem so gebildeten Manne gewährt, den wir im besseren Sinne des Worts den Liebhaber und Kenner zu nennen pflegen, dem die fremde Sprache geläufig ist, aber doch immer fremde bleibt, der nicht mehr wie die Schüler sich erst das einzelne wieder in der Muttersprache denken muß, ehe er das Ganze fassen kann, der aber doch auch da wo er am ungestörtesten sich der Schönheiten eines Werkes erfreut, sich immer der Verschiedenheit der Sprache von seiner Muttersprache bewußt bleibt. Allerdings bleibt uns der Wirkungskreis und die Bestimmung dieser Art zu übersezen auch nach der Feststellung dieser Punkten noch schwankend genug. Nur das sehen wir, daß, wie die Neigung zum Übersezen erst entstehen kann, wenn eine gewisse Fähigheit zum Verkehr mit fremden Sprachen unter dem gebildeten Volkstheile verbreitet ist, so auch die Kunst erst wachsen und das Ziel immer höher gestekkt werden wird, je mehr Liebhaberei und Kennerschaft fremder Geisteswerke unter denen im Volke sich verbreitet und erhöht, welche ihr Ohr geübt und gebildet haben, ohne doch Sprachkunde zu ihrem eigentlichen Geschäft zu machen. Aber das können wir uns zugleich nicht verhehlen, daß, je empfänglichere Leser da sind für solche Übersezungen, um desto höher auch die Schwierigkeiten des Unternehmens sich thürmen, zumal wenn man auf die eigenthümlichsten Erzeugnisse der Kunst und Wissenschaft eines Volkes sieht, welche doch die wichtigsten Gegenstände für den Übersezer sind. Nämlich, wie die Sprache ein geschichtliches Ding ist, so giebt es auch keinen rechten Sinn für sie, ohne Sinn für ihre Geschichte. Sprachen werden nicht erfunden, und auch alles rein willkührliche Arbeiten an ihnen und in ihnen ist Thorheit; aber sie werden allmählig entdekkt, und Wissenschaft und Kunst sind die Kräfte, durch welche diese Entdekkung gefördert und vollendet wird. Jeder ausgezeichnete Geist, in welchem sich unter einer von beiden Formen ein Theil von den Anschauungen des Volks eigenthümlich gestaltet, arbeitet und wirkt hiezu in der Sprache, und seine Werke müssen also auch einen Theil ihrer Geschichte enthalten. Dieses verursacht dem Übersezer wissenschaftlicher Werke große ja oft unüberwindliche Schwierigkeiten; denn wer mit hinreichenden Kenntnissen ausgerüstet ein ausgezeichnetes Werk dieser Art in der Ursprache liest, dem wird der Einfluß desselben auf die Sprache nicht leicht entgehen. Er merkt welche Wörter welche Verbindungen ihm dort noch in dem ersten Glanz der Neuheit erscheinen; er sieht wie sie durch das besondere Bedürfniß dieses Geistes und durch seine bezeichnende Kraft sich in die Sprache einschleichen; und diese Bemerkung bestimmt sehr wesentlich den Eindrukk, den er empfängt. Es liegt also in der Aufgabe der Übersetzung, eben dieses auch auf ihren Leser fortzupflanzen; sonst geht ihm ein oft sehr bedeutender Theil dessen, was ihm zugedacht ist, verloren. Aber wie ist dieses zu erreichen? Schon im einzelnen, wie oft wird einem neuen Worte der Urschrift gerade ein altes und verbrauchtes in unserer Sprache am besten entsprechen, so daß der Übersezer, wenn er auch da das sprachbildende des Werks zeigen wollte, einen fremden Inhalt an die Stelle sezen und also in das Gebiet der Nachbildung ausweichen müßte! Wie oft, wenn er auch neues durch neues wiedergeben kann, wird doch das der Zusammensezung und Abstammung nach ähnlichste Wort nicht den Sinn am treusten wiedergeben, und er also doch andere Anklänge aufregen müssen, wenn er den unmittelbaren Zusammenhang nicht verlezen will! Er wird sich damit trösten müssen, daß er an andern Stellen, wo der Verfasser alte und bekannte Wörter gebraucht hat, das versäumte nachholen kann, und also im Ganzen doch erreicht, was er nicht in jedem einzelnen Falle zu erreichen vermag. Sieht man aber auf die Wortbildung eines Meisters in ihrem ganzen Zusammenhang, auf seinen Gebrauch verwandter Wörter und Wortstämme in ganzen Massen sich auf einander beziehender Schriften: wie will der Übersezer sich hier glükklich durchfinden, da das System der Begriffe und ihrer Zeichen in seiner Sprache ein ganz anderes ist, als in der Ursprache, und Wortstämme, anstatt sich gleichlaufend zu dekken, vielmehr einander in den wunderlichsten Richtungen durchschneiden. Unmöglich kann daher der Sprachgebrauch des Übersezers überall eben so zusammenhangen, wie der seines Schriftstellers. Hier also wird er zufrieden sein müssen, im einzelnen zu erreichen, was er im ganzen nicht erreichen kann. Er wird sich bei seinen Lesern bedingen, daß sie nicht eben so streng wie die ursprünglichen bei einer Schrift an die andern denken, sondern jede mehr für sich betrachten, ja daß sie ihn noch loben sollen, wenn er innerhalb einzelner Schriften, ja oft auch nur einzelner Theile derselben eine solche Gleichförmigkeit in Absicht der wichtigeren Gegenstände zu erhalten weiß, daß nicht Ein Wort eine Menge ganz verschiedener Stellvertreter bekommt, oder in der Übersezung eine bunte Verschiedenheit herrscht, wo in der Ursprache eine feste Verwandtschaft des Ausdrukks durchgehe. Diese Schwierigkeiten zeigen sich am meisten auf dem Gebiet der Wissenschaft; andere giebt es, und nicht geringere, auf dem Gebiet der Poesie und auch der kunstreicheren Prosa, für welche ebenfalls das musikalische Element der Sprache, das sich in Rhythmus und Tonwechsel offenbart, eine ausgezeichnete und höhere Bedeutung hat. Jeder fühlt es, daß der feinste Geist, der höchste Zauber der Kunst in ihren vollendetsten Erzeugnissen verloren geht, wenn dieses unbeachtet bleibt oder zerstört wird. Was also dem sinnigen Leser der Urschrift in dieser Hinsicht auffällt als eigenthümlich als absichtlich als wirksam auf Ton und Stimmung des Gemüthes, als entscheidend für die mimische oder musikalische Begleitung der Rede, das soll auch unser Übersezer mit übertragen. Aber wie oft, ja es ist schon fast ein Wunder, wenn man nicht sagen muß immer, werden nicht die rhythmische und melodische Treue und die dialektische und grammatische in unversöhnlichem Streit gegen einander liegen! Wie schwer, daß nicht im Hin – und Herschwanken welches dort solle aufgeopfert werden, oft gerade das unrechte herauskomme! Wie schwer selbst daß der Übersezer unparteiisch, was er jedem hier hat entziehen müssen, ihm, wo die Gelegenheit es mit sich bringt, auch wirklich erseze, und nicht, wenn gleich unwissentlich, in eine beharrliche Einseitigkeit gerathe, weil seine Neigung dem einen Kunstelement vor dem andern gewidmet ist! Denn liebt er in den Kunstwerken mehr den ethischen Stoff und seine Behandlung: so wird er minder merken, wo er dem metrischen und musikalischen der Form unrecht gethan, und sich, statt auf Ersaz zu denken, mit einer immer mehr ins leichte und gleichsam paraphrastische hineinspielenden Übertragung derselben begnügen. Trifft es sich aber, daß der Übersezer ein Musiker ist oder Metriker, so wird er das logische Element hintansezen, um sich nur des musikalischen ganz zu bemächtigen; und indem er sich in dieser Einseitigkeit immer tiefer verstrikkt, wird er je länger je unerfreulicher arbeiten, und wenn man seine Übertragung im großen mit der Urschrift vergleicht, wird man finden, daß er, ohne es zu bemerken, jener schülerhaften Dürftigkeit immer näher kommt, der über dem einzelnen das ganze verloren geht; denn wenn der materiellen Ähnlichkeit des Tons und des Rhythmus zu Liebe, was in der einen Sprache leicht ist und natürlich wiedergegeben wird, durch schwere und anstößige Ausdrükke in der andern: so muß im ganzen ein völlig verschiedener Eindrukk entstehen.
Noch andere Schwierigkeiten zeigen sich, wenn der Übersezer auf sein Verhältniß zu der Sprache sieht, in der er schreibt, und auf das Verhältniß seiner Übersezung zu seinen anderen Werken. Wenn wir jene wunderbaren Meister ausnehmen, denen mehrere Sprachen gleich sind, oder gar Eine erlernte über die Muttersprache hinaus natürlich, für welche, wie gesagt, durchaus nicht übersezt werden kann; alle andere Menschen, wie geläufig sie eine fremde Sprache auch lesen, behalten doch immer dabei das Gefühl des fremden. Wie soll nun der Übersezer es machen, um eben dieses Gefühl, daß sie ausländisches vor sich haben, auch auf seine Leser fortzupflanzen, denen er die Übersezung in ihrer Muttersprache vorlegt? Man wird freilich sagen, das Wort dieses Räthsels sei längst gefunden, und es sei bei uns häufig vielleicht mehr als zu gut gelöset worden; denn je genauer sich die Übersezung an die Wendungen der Urschrift anschließe, um desto fremder werde sie schon den Leser gemahnen. Freilich wol, und es ist leicht genug über dieses Verfahren im allgemeinen zu lächeln. Allein wenn man sich diese Freude nicht zu wolfeil machen will, wenn man nicht das meisterhafteste mit dem schülerhaftesten und schlechtesten in einem Bade ausschütten will: so muß man zugeben, ein unerläßliches Erforderniß dieser Methode des Übersezens ist eine Haltung der Sprache, die nicht nur nicht alltäglich ist, sondern die auch ahnden läßt, daß sie nicht ganz frei gewachsen, vielmehr zu einer fremden Ähnlichkeit hinübergebogen sei; und man muß gestehen, dieses mit Kunst und Maaß zu thun, ohne eigenen Nachtheil und ohne Nachtheil der Sprache, dies ist vielleicht die größte Schwierigkeit die unser Übersezer zu überwinden hat. Das Unternehmen erscheint als der wunderbarste Stand der Erniedrigung, in den sich ein nicht schlechter Schriftsteller versezen kann. Wer möchte nicht seine Muttersprache überall in der volksgemäßesten Schönheit auftreten lassen, deren jede Gattung nur fähig ist? Wer möchte nichtlieber Kinder erzeugen, die das väterliche Geschlecht rein darstellen, als Blendlinge? Wer wird sich gern auflegen, in minderleichten und anmuthigen Bewegungen sich zu zeigen als er wol könnte, und bisweilen wenigstens schroff und steif zu erscheinen, um dem Leser so anstößig zu werden als nöthig ist damit er das Bewußtsein der Sache nicht verliere? Wer wird sich gern gefallenlassen, daß er für unbeholfen gehalten werde, indem er sich befleißiget der fremden Sprache so nahe zu bleiben als die eigenes nur erlaubt, und daß man ihn, wie Eltern, die ihre Kinderden Kunstspringern übergeben, tadelt, daß er seine Muttersprache, anstatt sie in ihrer heimischen Turnkunst gewandt zu üben, an ausländische und unnatürliche Verrenkungen gewöhne! Wer mag endlich gern gerade von den größten Kennern und Meistern am mitleidigsten belächelt werden, daß sie sein mühsames und voreiliges Deutsch nicht verstehen würden, wenn sie nicht ihr hellenisches und römisches dazu nähmen! Dies sind die Entsagungen die jener Übersezer nothwendig übernehmen muß, dies die Gefahren denen er sich aussetzt, wenn er in dem Bestreben den Ton der Sprache fremd zu halten nicht die feinste Linie beobachtet, und denen er auch so auf keinen Fall ganz entgeht, weil jeder sich diese Linie etwas anders zieht. Denkt er nun noch an den unvermeidlichen Einfluß der Gewöhnung: so kann ihm bange werden, daß auch in seine freien und ursprünglichen Erzeugnisse vom Übersezen her manches minder gehörige und rauhe sich einschleiche, und ihm der zarte Sinn für das heimische Wohlbefindender Sprache sich etwas abstumpfe. Und denkt er gar an das große Heer der Nachahmer, und an die in dem schriftstellerischen Publikum herrschende Trägheit und Mittelmäßigkeit: so muß er sich erschrekken, wieviel lokkeres gesezwidriges Wesen, wieviel wahre Unbeholfenheit und Härte, wieviel Sprachverderben aller Art er vielleicht mit zu verantworten bekommt; denn fast nur die besten und die schlechtesten werden nicht streben einen falschen Vortheil aus seinen Bemühungen zu ziehen. Diese Klagen, daß ein solches Übersezen nothwendig der Reinheit der Sprache und ihrer ruhigen Fortentwikkelung von innen heraus nachtheilig werden müsse, sind häufig gehört worden. Wollen wir sie nun auch vor der Hand bei Seite stellen mit der Vertröstung, daß wol auch Vortheile werden diesen Nachtheilen gegenüberstehen, und daß, wie alles gute mit üblem versezt sei, die Weisheit eben darin bestehe, indem man von dem ersten so viel als möglich erlangt, von dem andern sowenig als möglich mitzunehmen: soviel geht aus dieser schwierigen Aufgabe daß man in der Muttersprache das fremde darstellen solle, auf jeden Fall hervor. Zuerst, daß diese Methode des Übersezens nicht in allen Sprachen gleich gut gedeihen kann, sondern nur in solchen die nicht in zu engen Banden eines klassischen Ausdrukks gefangen liegen, außerhalb dessen alles verwerflich ist. Solche gebundene Sprachen mögen die Erweiterung ihres Gebietes dadurch suchen, daß sie sich sprechen machen von Ausländern, die mehr als ihre Muttersprache bedürfen; hiezu werden sie sich wol vorzüglich eignen; sie mögen sich fremde Werke aneignen durch Nachbildungen oder vielleicht durch Übersezungen der andern Art: diese Art aber müssen sie den freieren Sprachen überlassen, in denen Abweichungen und Neuerungen mehr geduldet werden, und so daß aus ihrer Anhäufung unter gewissen Umständen ein bestimmter Charakter entstehen kann. Ferner folgt deutlich genug, daß diese Art zu übersezen gar keinen Werth hat, wenn sie in einer Sprache nur einzeln und zufällig betrieben wird. Denn der Zwekk ist ja offenbar damit nicht erreicht, daß ein überhaupt fremder Geist den Leser anweht; sondern wenn er eine Ahndung bekommen soll, sei es auch nur eine entfernte, von der Ursprache und von dem was das Werk dieser verdankt, und ihm so einigermaßen ersezt werden soll daß er sie nicht versteht: so muß er nicht nur die ganz unbestimmte Empfindung bekommen, daß was er liest nicht ganz einheimisch klingt; sondern es muß ihm nach etwas bestimmtem anderm klingen; das aber ist nur möglich, wenn er Vergleichungen in Masse anstellen kann. Hat er einiges gelesen, wovon er weiß daß es aus andern neuen und anderes aus alten Sprachen übersezt ist, und es ist in diesem Sinn übersezt: so wird sich ihm wol ein Gehör anbilden, um das alte und neuere zu unterscheiden. Aber weit mehr schon muß er gelesen haben, wenn er hellenischen von römischem Ursprung, oder italiänischen von spanischem unterscheiden soll. Und doch ist auch dieses noch kaum der höchste Zwekk; sondern der Leser der Übersezung wird dem besseren Leser des Werks in der Ursprache erst dann gleich kommen, wann er neben dem Geist der Sprache auch den eigenthümlichen Geist des Verfassers in dem Werk zu ahnden und allmählig bestimmt aufzufassen vermag, wozu freilich das Talent der individuellen Anschauung das einzige Organ, aber eben für dieses eine noch weit größere Masse von Vergleichungen unentbehrlich ist. Diese sind nicht vorhanden, wenn in einer Sprache nur hie und da einzelne Werke der Meister in einzelnen Gattungen übertragen werden. Auf diesem Wege können auch die gebildetsten Leser nur eine höchst unvollkommene Kenntniß des fremden durch Übersezung erlangen; und daß sie sich zu einem eigentlichen Urtheil, es sei über die Übersezung oder über das Original, sollten erheben können, daran ist gar nicht zu denken. Daher erfordert diese Art zu übersezen durchaus ein Verfahren im großen, ein Verpflanzen ganzer Litteraturen in eine Sprache, und hat also auch nur Sinn und Werth unter einem Volk welches entschiedene Neigung hat sich das fremde anzueignen. Einzelne Arbeiten dieser Art haben nur einen Werth als Vorläufer einer sich allgemeiner entwikkelnden und ausbildenden Lust an diesem Verfahren. Regen sie diese nicht auf, so haben sie auch im Geist der Sprache und des Zeitalters etwas gegen sich; sie können alsdann nur als verfehlte Versuche erscheinen, und auch für sich wenig oder keinen Erfolg haben. Allein auch wenn die Sache überhand nimmt, ist nicht leicht zu erwarten, daß eine Arbeit dieser Art, wie vortrefflich sie auch sei, sich allgemeinen Beifall erwerben werde. Bei den vielen Rükksichten, welche zu nehmen, und Schwierigkeiten, die zu überwinden sind, müssen sich verschiedene Ansichten darüber entwikkeln, welche Theile der Aufgabe hervorzuheben und welche vielmehr unterzuordnen sind. So werden gewissermaßen verschiedene Schulen unter den Meistern und verschiedene Partheien im Publikum sich bilden als Anhänger von jenen; und wiewol dieselbe Methode überall zum Grunde liegt, werden doch von demselben Werk verschiedene Übersezungen neben einander bestehen können, aus verschiedenen Gesichtspunkten gefaßt, von denen man nicht eben sagen könnte, daß eine im ganzen vollkommner sei oder zurükkstehe, sondern nur einzelne Theile werden in der einen besser gelungen sein, und andere in anderen, und erst alle zusammengestellt und auf einander bezogen, wie die eine auf diese die andere auf jene Annäherung an die Ursprache oder Schonung der eigenen einen besonderen Werth legt, werden sie die Aufgabe ganz erschöpfen, jede aber für sich immer nur einen relativen und subjectiven Werth haben.
Dies sind die Schwierigkeiten welche dieser Methode des Übersezens entgegenstehen, und die Unvollkommenheiten die ihr wesentlich anhängen. Aber diese eingestanden muß man doch das Unternehmen selbst anerkennen, und kann ihm sein Verdienst nicht absprechen. Es beruht auf zwei Bedingungen, daß das Verstehen ausländischer Werke ein bekannter und gewünschter Zustand sei, und daß der heimischen Sprache selbst eine gewisse Biegsamkeit zugestanden werde. Wo diese gegeben sind, da wird ein solches Übersezen eine natürliche Erscheinung, greift ein in die gesammte Geistesentwikkelung, und wie es einen bestimmten Werth erhält, giebt es auch einen sichern Genuß.
Wie steht es nun aber mit der entgegengesezten Methode, welche, ihrem Leser gar keine Mühe und Anstrengung zumuthend, ihm den fremden Verfasser in seine unmittelbare Gegenwart hinzaubern, und das Werk so zeigen will, wie es sein würde, wenn der Verfasser selbst es ursprünglich in des Lesers Sprache geschrieben hätte? Diese Forderung ist nicht selten ausgesprochen worden als diejenige die man an einen wahren Übersezer zu machen hätte, und als weit höher und vollkommener in Vergleich mit jener; es sind auch Versuche gemacht worden im einzelnen, oder vielleicht Meisterstükke, die offenbar genug sich dieses Ziel vorgestekkt haben. Laßt uns nun sehen wie es hiermit steht, und ob es nicht vielleicht gut wäre, wenn dieses bis jezt unstreitig seltnere Verfahren häufiger würde, und jenes bedenkliche und in vielen Stükken ungenügende verdrängte.
Soviel sehen wir gleich, daß die Sprache des Übersezers von dieser Methode nicht das mindeste zu befürchten hat. Seine erste Regel muß sein, sich wegen des Verhältnisses, in dem seine Arbeit zu einer fremden Sprache steht, nichts zu erlauben was nicht auch jeder ursprünglichen Schrift gleicher Gattung in der heimischen Sprache erlaubt wird. Ja er hat so sehr als irgend einer die Pflicht, wenigstens dieselbe Sorgfalt für die Reinigkeit und Vollendung der Sprache zu beobachten, derselben Leichtigkeit und Natürlichkeit des Stils nachzustreben, die seinem Schriftsteller in der Ursprache nachzurühmen ist. Auch das ist gewiß, wenn wir unsern Landsleuten recht anschaulich machen wollen was ein Schriftsteller für seine Sprache gewesen ist, daß wir keine bessere Formel aufstellen können, als ihn so redend einzuführen, wie wir uns denken müssen daß er in der unsrigen würde geredet haben, zumal wenn die Entwikkelungsstufe, worauf er seine Sprache fand, eine Ähnlichkeit hat mit der worauf die unsrige eben steht. Wir können uns in einem gewissen Sinne denken, wie Tacitus würde geredet haben, wenn er ein Deutscher gewesen wäre, das heißt, genauer genommen, wie ein Deutscher reden würde, der unserer Sprache das wäre was Tacitus der seinigen; und wohl dem, der es sich so lebendig denkt, daß er ihn wirklich kann reden lassen! Aber ob dies nun geschehen könnte, indem er ihn dieselbigen Sachen sagen läßt, die der römische Tacitus in lateinischer Sprache geredet, das ist eine andere und nicht leicht zu bejahende Frage. Denn ein ganz anderes ist, den Einfluß, den ein Mann auf seine Sprache ausgeübt hat, richtig auffassen und irgend wie darstellen, und wieder ein ganz anderes, wissen wollen, wie seine Gedanken und ihr Ausdrukk sich würden gewendet haben, wenn er gewohnt gewesen wäre ursprünglich in einer andern Sprache zu denken und sich auszudrükken! Wer überzeugt ist daß wesentlich und innerlich Gedanke und Ausdrukk ganz dasselbe sind, und auf dieser Überzeugung beruht doch die ganze Kunst alles Verstehens der Rede, und also auch alles Übersezens, kann der einen Menschen von seiner angebornen Sprache trennen wollen, und meinen, es könne ein Mensch, oder auch nur eine Gedankenreihe eines Menschen, eine und dieselbe werden in zwei Sprachen? oder wenn sie denn auch auf gewisse Weise verschieden ist, kann er sich anmaaßen die Rede bis in ihr innerstes aufzulösen, den Antheil der Sprache daran auszuscheiden, und durch einen neuen gleichsam chemischen Prozeß sich das innerste derselben verbinden zu lassen mit dem Wesen und der Kraft einer andern Sprache? Denn offenbar müßte man, um diese Aufgabe zu lösen, alles, was an dem schriftlichen Werk eines Mannes auch auf die entfernteste Weise Einwirkung irgend dessen ist, was er von Kindheit an in seiner Muttersprache geredet hat und gehört, rein ausscheiden und nun gleichsam der nakkten eigenthümlichen in ihrer Richtung auf einen gewissen Gegenstand begriffenen Denkweise desselben zuführen alles dasjenige, was Einwirkung gewesen sein würde alles dessen was er vom Anfang seines Lebens oder von seiner ersten Bekanntschaft mit der fremden Sprache an in ihr geredet und gehört hätte, bis er zu der Fertigkeit gekommen wäre in ihr ursprünglich zu denken und niederzuschreiben? Dies wird nicht eher möglich sein, als bis es gelungen ist durch einen künstlichen chemischen Prozeß organische Produkte zusammenzusezen. Ja man kann sagen, das Ziel, so zu übersezen wie der Verfasser in der Sprache der Übersezung selbst würde ursprünglich geschrieben haben, ist nicht nur unerreichbar, sondern es ist auch in sich nichtig und leer; denn wer die bildende Kraft der Sprache, wie sie eins ist mit der Eigenthümlichkeit des Volkes, anerkennt, der muß auch gestehen daß jedem ausgezeichnetsten am meisten sein ganzes Wissen, und auch die Möglichkeit es darzustellen, mit der Sprache und durch sie angebildet ist, und daß also niemanden seine Sprache nur mechanisch und äußerlich gleichsam in Riemen anhängt, und wie man leicht ein Gespann löset und ein anderes vorlegt, so sich jemand auch nach Belieben im Denken eine andere Sprache vorlegen könne, daß vielmehr jeder nur in seiner Muttersprache ursprünglich producire, und man also gar die Frage nicht aufwerfen kann, wie er seine Werke in einer andern Sprache würde geschrieben haben. Hiegegen wird freilich jeder zwei Fälle anführen, die häufig genug vorkommen. Zuerst hat es doch offenbar sonst, nicht nur in einzelnen Ausnahmen, denn so kommt es noch vor, sondern auch im großen eine Fertigkeit gegeben, in andern Sprachen als der angebornen ursprünglich zu schreiben, ja zu philosophiren und zu dichten. Warum soll man also nicht, um ein desto sichreres Maaß zu bekommen, diese Fertigkeit in Gedanken auf jeden Schriftsteller übertragen, welchen man übersezen will? Darum nicht, weil es mit dieser Fertigkeit die Bewandtniß hat, daß sie nur in solchen Fällen vorkommt, wo dasselbe entweder überhaupt oder wenigstens von demselben nicht könnte in der angebornen Sprache gesagt werden. Wenn wir in die Zeiten zurükkgehn, wo die romanischen Sprachen anfingen sich zu bilden, wer kann sagen, welche Sprache damals den dortigen Menschen sei angeboren gewesen? und wer wird läugnen wollen, daß denen, welche eine wissenschaftliche Bestrebung ergriffen, das lateinische mehr Muttersprache gewesen als das volgare? Dies geht aber für einzelne Bedürfnisse und Thätigkeiten des Geistes noch viel weiter herab. So lange die Muttersprache für diese noch nicht gebildet ist, bleibt diejenige Sprache die partielle Muttersprache, aus welcher jene Richtungen des Geistes sich einem werdenden Volke mitgetheilt haben. Grotius und Leibnitz konnten nicht, wenigstens nicht ohne ganz andere Menschen zu sein, deutsch und holländisch philosophiren. Ja auch wenn jene Wurzel schon ganz vertrokknet und der Senker von dem alten Stamme völlig losgerissen ist, muß doch, wer nicht selbst zugleich ein sprachbildendes und ein umwälzendes Wesen ist, sich noch vielfältig einer fremden Sprache willkührlich oder durch untergeordnete Gründe bestimmt anschließen. Unserm großen König waren alle feineren und höheren Gedanken durch eine fremde Sprache gekommen, und diese hatte er sich für dieses Gebiet auf das innigste angeeignet. Was er französisch philosophirte und dichtete, war er unfähig deutsch zu philosophiren und zu dichten. Wir müssen es bedauern, daß die große Vorliebe für England, die einen Theil der Familie beherrschte, nicht die Richtung nehmen konnte, ihm von Kindheit an die englische Sprache, deren letztes goldenes Zeitalter damals blühte, und die der deutschen um so vieles näher ist, anzueignen. Aber wir dürfen hoffen, daß wenn er eine streng gelehrte Erziehung genossen hätte, er lieber würde lateinisch philosophirt und gedichtet haben als französisch. Indem also dieses besondern Bedingungen unterliegt, indem nicht in gleichviel welcher fremden Sprache, sondern nur in einer bestimmten, jeder und nur das hervorbringt, was von ihm in seiner Muttersprache nicht konnte hervorgebracht werden: so beweiset es nichts für eine Methode des Übersezens, welche zeigen will, wie einer das, was er wirklich in seiner Muttersprache geschrieben hat, in einer andern würde geschrieben haben. Der zweite Fall aber, eines ursprünglichen Lesens und Schreibens in fremden Sprachen, scheint günstiger für diese Methode. Denn wer wird es unsern Weit – und Hofleuten absprechen, daß was sie liebenswürdiges in fremden Zungen über ihre Lippen bringen, sie auch gleich in derselben Sprache gedacht und nicht etwa aus dem armen Deutsch erst innerlich übersezt haben? und wie es ihr Ruhm ist, diese Süßigkeiten und Feinheiten in vielen Sprachen gleich gut sagen zu können, so denken sie sie auch gewiß in allen mit gleicher Leichtigkeit, und jeder wird auch vom andern recht gut wissen, wie er eben das was er jezt auf französisch gesagt hat auf itallänisch würde gesagt haben. Allein diese Reden sind auch freilich nicht aus dem Gebiet, wo die Gedanken kräftig aus der tiefen Wurzel einer eigenthümlichen Sprache hervortreiben, sondern wie die Kresse, die ein künstlicher Mann ohne alle Erde auf dem weißen Tuche wachsen macht. Diese Reden sind weder der heilige Ernst der Sprache, noch das schöne wohlgemessene Spiel derselben; sondern wie die Völker durcheinander laufen in dieser Zeit, auf eine Weise die man sonst weniger kannte, so ist überall Markt, und dieses sind die Marktgespräche, mögen sie nun politisch sein oder litterarisch, oder gesellig, und sie gehören wahrlich nicht in das Gebiet des Übersezens, sondern nur des Dolmetschers etwa. Wenn nun dergleichen, wie es wol bisweilen geschieht, in ein größeres Ganze sich zusammenfilzen und Schrift werden: so mag einesolche Schrift, die ganz in dem leichten und anmuthigen Leben spielt ohne irgend eine Tiefe des Daseins aufzuschließen oder eine Eigenthümlichkeit des Volkes zu bewahren, nach dieser Regel übersezt werden; aber auch nur sie, weil nur sie eben so gut auch ursprünglich konnte in einer andern Sprache gefaßt sein. Und weiter mag diese Regel sich nicht erstrekken, als vielleicht noch auf die Eingänge und Vorhöfe tieferer und herrlicher Werke, die auch oft ganz in dem Gebiet des leichten geselligen Lebens erbaut sind. Nämlich, je mehr den einzelnen Gedanken eines Werkes und ihrer Verknüpfung die Volkseigenthümlichkeit anhaftet, und vielleicht gar noch außerdem das Gepräge einer längst abgelaufenen Zeit, um desto mehr verliert die Regel überhaupt ihre Bedeutung. Denn so wahr das auch bleibt in mancher Hinsicht, daß erst durch das Verständniß mehrerer Sprachen der Mensch in gewissem Sinne gebildet wird, und ein Weltbürger: so mussen wir doch gestehen, so wie wir die Weltbürgerschaft nicht für die ächte halten, die in wichtigen Momenten die Vaterlandsliebe unterdrükkt, so ist auch in Bezug auf die Sprachen eine solche allgemeine Liebe nicht die rechte und wahrhaft bildende, welche für den lebendigen und höheren Gebrauch irgend eine Sprache, gleichviel ob alte oder neue, der vaterländischen gleich stellen will. Wie Einem Lande, so auch Einer Sprache oder der andern, muß der Mensch sich entschließen anzugehören, oder er schwebt haltungslos in unerfreulicher Mitte. Es ist recht, daß noch jetzt unter uns lateinisch geschrieben wird von Amtswegen, um das Bewußtsein lebendig zu erhalten, daß dies unserer Vorfahren wissenschaftliche und heilige Muttersprache gewesen ist; es ist heilsam, daß es auch sonst geschehe im Gebiet der gemeinsamen europäischen Wissenschaft, des leichteren Verkehrs wegen; aber gelingen wird es auch in diesem Fall nur in dem Maaß, als für eine solche Darstellung der Gegenstand alles ist, und die eigene Ansicht und Verknüpfung wenig. Dasselbe ist der Fall mit dem romanischen. Wer gezwungen und von Amtswegen eine solche Sprache schreibt, der wird sich doch wohl bewußt sein, daß seine Gedanken im ersten Entstehen deutsch sind, und daß er nur sehr früh während der Embryo sich noch gestaltet schon anfängt sie zu übersezen; und wer sich einer Wissenschaft wegen dazu aufopfert, der wird sich auch da nur leicht ungezwungen und ohne geheimes Übersezen finden, wo er sich ganz in der Gewalt des Gegenstandes fühlt. Es giebt freilich auch außerdem eine freie Liebhaberei am lateinisch oder romanisch schreiben, und wenn es mit dieser wirklich darauf abgesehen wäre in einer fremden Sprache gleich gut wie in der eigenen und gleich ursprünglich zu produciren: so würde ich sie unbedenklich für eine frevelhafte und magische Kunst erklären, wie das Doppeltgehen, womit der Mensch nicht nur der Geseze der Natur zu spotten, sondern auch andere zu verwirren gedächte. So ist es aber wohl nicht, sönderndfiese Liebhaberei ist nur ein feines mimisches Spiel, womit man sich höchstens in den Vorhöfen der Wissenschaft und Kunst die Zeit anmuthig vertreibt. Die Production in der fremden Sprache ist keine ursprüngliche; sondern Erinnerungen an einen bestimmten Schriftsteller oder auch an die Weise eines gewissen Zeitalters, das gleichsam eine allgemeine Person vorstellt, schweben der Seele fast wie ein lebendiges äußeres Bild vor, und die Nachahmung desselben leitet und bestimmt die Production. Daher auch selten auf diesem Wege etwas entsteht, was außer der mimischen Genauigkeit einen wahren Werth hätte; und man kann sich des beliebten Kunststükkes um so harmloser erfreuen, als man die gespielte Person überall deutlich genug durchblikkt. Ist aber jemand gegen Natur und Sitte förmlich ein Überläufer geworden von der Muttersprache, und hat sich einer andern ergeben: so ist es nicht etwa gezierter und angedichteter Hohn, wenn er versichert, er könne sich in jener nun gar nicht mehr bewegen; sondern es ist nur eine Rechtfertigung, die er sich selbst schuldig ist, daß seine Natur wirklich ein Naturwunder ist gegen alle Ordnung und Regel, und eine Beruhigung für die andern, daß er wenigstens nicht doppelt geht wie ein Gespenst.
Doch nur zu lange haben wir uns bei fremdartigem aufgehalten, und das Ansehn gehabt vom Schreiben in fremden Sprachen zu reden, anstatt vom Übersezen aus fremden Sprachen. Die Sache liegt aber so. Wenn es nicht möglich ist etwas der Übersezung, sofern sie Kunst ist, würdiges und zugleich bedürftiges ursprünglich in einer fremden Sprache zu schreiben, oder wenn dies wenigstens eine seltene und wunderbare Ausnahme ist: so kann man auch die Regel nicht aufstellen für die Übersezung, sie solle denken wie der Verfasser selbst eben dieses in der Sprache des Übersezers würde geschrieben haben; denn es giebt keine Fülle von Beispielen zweisprachiger Schreiber, von denen eine Analogie herzuleiten wäre, welcher der Übersezer folgen könnte, sondern er wird nach dem obigen bei allen Werken, die nicht der leichten Unterhaltung gleichen, oder dem Geschäftsstil, fast nur seiner Einbildung überlassen sein. Ja was will man einwenden, wenn ein Übersezer dem Leser sagt, Hier bringe ich dir das Buch, wie der Mann es würde geschrieben haben, wenn er es deutsch geschrieben hätte; und der Leser ihm antwortet, Ich bin dir eben so verbunden, als ob du mir des Mannes Bild gebracht hättest, wie er aussehen würde, wenn seine Mutter ihn mit einem andern Vater erzeugt hätte? Denn wenn von Werken, die in einem höheren Sinne der Wissenschaft und Kunst angehören, der eigenthümliche Geist des Verfassers die Mutter ist: so ist seine vaterländische Sprache der Vater dazu. Das eine Kunststükklein wie das andere macht Anspruch auf geheinmißvolle Einsichten, die niemand hat, und nur als Spiel kann man das eine eben so unbefangen genießen wie das andere.
Wie sehr die Anwendbarkeit dieser Methode beschränkt, ja auf dem Gebiet des Übersezens fast gleich Null ist, das bestätigt sich am besten, wenn man sieht, in was für unüberwindliche Schwierigkeiten sie sich in einzelnen Zweigen der Wissenschaft und Kunst verwikkelt. Wenn man sagen muß, daß schon im Gebrauch des gemeinen Lebens es nur wenig Wörter in einer Sprache giebt, denen eines in irgend einer andern vollkommen entspräche, so daß dieses in allen Fällen gebraucht werden könnte worin jenes, und daß es in derselben Verbindung wie jenes auch allemal dieselbeWirkung hervorbringen würde: so gilt dieses noch mehr von allen Begriffen, je mehr ihnen ein philosophischer Gehalt beigemischt ist, und also am meisten von der eigentlichen Philosophie. Hier mehr als irgendwo enthält jede Sprache, troz der verschiedenen gleichzeitigen und auf einander folgenden Ansichten, doch Ein System von Begriffen in sich, die eben dadurch daß sie sich in derselben Sprache berühren, verbinden, ergänzen, Ein Ganzes sind, dessen einzelnen Theilen aber keine aus dem System anderer Sprachen entsprechen, kaum Gott und Sein, das Urhauptwort und das Urzeitwort abgerechnet. Denn auch das schlechthin allgemeine, wiewol außerhalb des Gebietes der Eigentümlichkeit liegend, ist doch von ihr beleuchtet und gefärbt. In diesem System der Sprache muß die Weisheit eines jeden aufgehn. Jeder schöpft aus dem vorhandenen, jeder hilft das nicht vorhandene aber vorgebildete ans Licht bringen. Nur so ist die Weisheit des einzelnen lebendig, und kann sein Dasein wirklich beherrschen, welches er ja ganz in dieser Sprache zusammenfaßt. Will also der Übersezer eines philosophischen Schriftstellers sich nicht entschließen die Sprache der Übersezung, soviel sich thun läßt, nach der Ursprache zu beugen, um das in dieser ausgebildete Begriffssystem möglichst ahnden zu lassen; will er vielmehr seinen Schriftsteller so reden lassen als hätte er Gedanken und Rede ursprünglich in einer anderen Sprache gebildet: was bleibt ihm übrig, bei der Unähnlichkeit der Elemente in beiden Sprachen, als entweder zu paraphrasiren — wobei er aber seinen Zwekk nicht erreicht; denn eine Paraphrase wird und kann nie aussehn wie etwas in derselben Sprache ursprünglich hervorgebrachtes — oder er muß die ganze Weisheit und Wissenschaft seines Mannes umbilden in das Begriffssystem der andern Sprache, und so alle einzelnen Theile verwandeln, wobei nicht abzusehen ist wie der wildesten Willkühr könnten Grenzen gesetzt werden. Ja man muß sagen, wer nur die mindeste Achtung hat für philosophische Bestrebungen und Entwikkelungen, kann sich auf ein so loses Spiel gar nicht einlassen. Platon mag es verantworten wenn ich von dem Philosophen auf den Komödienschreiber komme. Diese Kunstgattung liegt, was die Sprache betrifft, dem Gebiet des geselligen Gesprächs am nächsten. Die ganze Darstellung lebt in den Sitten der Zeit und des Volkes, die sich wiederum vorzüglich in der Sprache lebendig spiegeln. Leichtigkeit und Natürlichkeit in der Anmuth sind ihre erste Tugend; und eben deshalb sind hier die Schwierigkeiten der Übersezung nach der eben betrachteten Methode ganz ungemein. Denn jede Annäherung an eine fremde Sprache thut jenen Tugenden des Vortrages Schaden. Will nun aber gar die Übersezung einen Schauspieldichter reden lassen, als hätte er ursprünglich in ihrer Sprache gedichtet: so kann sie ihn ja vieles gar nicht vorbringen lassen, weil es in diesem Volk nicht einheimisch ist und also auch in der Sprache kein Zeichen hat. Der Übersezer muß also hier entweder ganz wegschneiden, und so die Kraft und die Form des Ganzen zerstören, oder er muß anderes an die Stelle sezen. Auf diesem Gebiet also führt die Formel vollständig befolgt offenbar auf bloße Nachbildung oder auf ein noch widerlicher auffallendes und verwirrendes Gemisch von Übersezung und Nachbildung, welches den Leser wie einen Ball zwischen seiner und der fremden Welt, zwischen des Verfassers und des Übersetzers Erfindung und Wiz, unbarmherzig hin und her wirft, wovon er keinen reinen Genuß haben kann, zuletzt aber Schwindel und Ermattung gewiß genug davon trägt. Der Übersezer nach der andern Methode hingegen hat gar keine Aufforderung zu solchen eigenmächtigen Veränderungen, weil sein Leser immer gegenwärtig behalten soll, daß der Verfasser in einer andern Welt gelebt und in einer andern Sprache geschrieben hat. Er ist nur an die freilich schwere Kunst gewiesen die Kenntniß dieser fremden Welt auf die kürzeste zwekkmäßigste Weise zu suppliren, und überall die größere Leichtigkeit und Natürlichkeit des Originals durchleuchten zu lassen. Diese beiden Beispiele von den äußersten Enden der Wissenschaft und der Kunst hergenommen zeigen deutlich, wie wenig der eigentliche Zwekk alles Übersezens möglichst unverfälschter Genuß fremder Werke, durch eine Methode erreicht werden kann, welche dem übersezten Werke ganz und gar den Geist einer ihm fremden Sprache einhauchen will. Hinzu kommt noch, daß jede Sprache ihr eigenthümliches hat auch in den Rhythmen für die Prosa sowol als die Poesie, und daß, wenn einmal die Fiction gemacht werden soll, der Verfasser könnte auch in der Sprache des Übersezers geschrieben haben, man ihn dann auch in den Rhythmen dieser Sprache müßte auftreten lassen, wodurch sein Werk noch mehr entstellt, und die Kenntniß seiner Eigenthümlichkeit, welche die Übersezung gewährt, noch weit mehr beschränkt wird.
Auch geht in der That diese Fiction, auf der doch die jezt betrachtete Theorie des Übersezers allein beruht, über den Zwekk dieses Geschäfts weit hinaus. Das Übersezen aus dem ersten Gesichtspunkt ist eine Sache des Bedürfnisses für ein Volk, von dem nur ein kleiner Theil sich eine hinreichende Kenntniß fremder Sprachen verschaffen kann, ein größerer aber Sinn hat für den Genuß fremder Werke. Könnte dieser Theil ganz in jenen übergehen: so wäre denn jenes Übersezen unnüz, und schwerlich würde jemand die undankbare Mühe übernehmen. Nicht so ist es mit dieser lezten Art. Diese hat mit der Noth nichts zu schaffen, vielmehr ist sie das Werk der Lüsternheit und des Übermuthes. Die fremden Sprachen könnten so weit verbreitet sein als nur irgend möglich, und jedem fähigen der Zugang zu ihren edelsten Werken ganz offen stehn; und es bliebe doch ein merkwürdiges Unternehmen, das nur um so mehre und gespanntere Zuhörer um sich versammeln würde, wenn jemand verspräche uns ein Werk des Cicero oder Platon so darzustellen, wie diese Männer selbst es unmittelbar deutsch jezt würden geschrieben haben. Und wenn einer uns so weit brächte, dieses nicht nur in der eignen Muttersprache zu thun, sondern gar noch in einer andern fremden, der wäre uns dann offenbar der größte Meister in der schwierigen und fast unmöglichen Kunst die Geister der Sprachen in einander aufzulösen. Nur sieht man, dies würde streng genommen kein Übersezen sein, und der Zwekk wäre auch nicht der möglichst genaue Genuß der Werke selbst; sondern es würde immer mehr eine Nachbildung werden, und recht genießen könnte ein solches Kunstwerk oder Kunststükk nur der, der jene Schriftsteller schon sonsther unmittelbar kennte. Und der eigentliche Zwekk könnte nur sein, im einzelnen das gleiche Verhältniß mancher Ausdrükke und Combinationen in verschiedenen Sprachen zu einem bestimmten Charakter zur Anschauung zu bringen, und im ganzen die Sprache mit dem eigenthümlichen Geist eines fremden Meisters, aber diesen ganz von seiner Sprache getrennt und gelöst, zu beleuchten. Wie nun jenes nur ein kunstreiches und zierliches Spiel ist, und dieses auf einer fast unmöglich durchzuführenden Fiction beruht: so begreift man wie diese Art des Übersezens nur in sehr sparsamen Versuchen geübt wird, die auch selbst deutlich genug zeigen daß im großen so nicht verfahren werden kann. Man erklärt sich auch, daß gewiß nur ausgezeichnete Meister, die sich wunderbares zutrauen dürfen, nach dieser Methode arbeiten können; und mit Recht nur solche, die ihre eigentlichen Pflichten gegen die Welt schon erfüllt haben, und sich deshalb eher einem reizenden und etwas gefährlichen Spiel überlassen können. Man begreift aber auch um so leichter, daß die Meister, welche sich im Stande fühlen so etwas zu versuchen, auf das Geschäft jener andern Übersezer ziemlich mitleidig herabschauen. Denn sie meinen, sie selbst trieben eigentlich nur allein die schöne und freie Kunst, jene aber erscheinen ihnen weit näher dem Dolmetscher zu stehen, indem sie doch auch dem Bedürfniß, wenn gleich einem etwas höheren, dienen. Und bedauernswürdig scheinen sie ihnen, daß sie weit mehr Kunst und Mühe als billig auf ein untergeordnetes und undankbares Geschäft verwenden. Daher sie auch sehr bereit sind mit dem Rath, man möge doch statt solcher Übersezungen sich lieber so gut man könnte mit der Paraphrase helfen, wie die Dolmetscher in schwierigen und streitigen Fällen es auch thun.
Wie nun? Sollen wir diese Ansicht theilen und diesem Rath folgen? Die Alten haben offenbar wenig in jenem eigentlichsten Sinn übersezt, und auch die meisten neueren Völker, abgeschrekkt durch die Schwierigkeiten der eigentlichen Übersetzung, begnügen sich mit der Nachbildung und der Paraphrase. Wer wollte behaupten, es sei jemals etwas weder aus den alten Sprachen nochaus den germanischen in die französische übersezt worden! Aberwir Deutsche möchten noch so sehr diesem Rathe Gehör geben, folgen würden wir ihm doch nicht. Eine innere Nothwendigkeit, in der sich ein eigenthümlicher Beruf unseres Volkes deutlich genug ausspricht, hat uns auf das Übersezen in Masse getrieben; wir können nicht zurükk und müssen durch. Wie vielleicht erst durchvielfältiges Hineinverpflanzen fremder Gewächse unser Bodenselbst reicher und fruchtbarer geworden ist, und unser Klima anmuthiger und milder: so fühlen wir auch, daß unsereSprache, weilwir sie der nordischen Trägheit wegen weniger selbst bewegen, nur durch die vielseitigste Berührung mit dem fremden recht frisch gedeihen und ihre eigne Kraft vollkommen entwikkeln kann. Und damit scheint zusammenzutreffen, daß wegen seiner Achtung für das fremde und seiner vermittelnden Natur unser Volk bestimmt sein mag, alle Schäze fremder Wissenschaft und Kunst mit seinen eignen zugleich in seiner Sprache gleichsam zu einem großen, geschichtlichen Ganzen zu vereinigen, das im Mittelpunkt und Herzen von Europa verwahrt werde, damit nun durch Hülfe unserer Sprache, was die verschiedensten Zeiten schönes gebracht haben, jeder so rein und vollkommen genießen könne, als es dem Fremdling nur möglich ist. Dies scheint in der That der wahre geschichtliche Zwekk des Übersezens im großen, wie es bei uns nun einheimisch ist. Für dieses aber ist nur die Eine Methode anwendbar, die wir zuerst betrachtet haben. Die Schwierigkeiten derselben, die wir nicht verhehlt haben, muß die Kunst soviel möglich besiegen lernen. Ein guter Anfang ist gemacht, aber das meiste ist noch übrig. Viele Versuche und Übungen müssen auch hier vorangehen, ehe einige ausgezeichnete Werke zu Stande kommen; und manches glänzt anfangs, was hernach von besserem überboten wird. Wie sehr schon einzelne Künstler die Schwierigkeiten theils besiegt, theils sich glükklich zwischen ihnen durchgewunden haben, liegt in mannigfaltigen Beispielen vor Augen. Und wenn auch minderkundige auf diesem Felde arbeiten: so wollen wir von ihren Bemühungen nicht furchtsamerweise großen Schaden für unsere Sprache besorgen. Denn zuerst muß feststehen, daß es in einer Sprache, in welcher das Übersezen so sehr im großen getrieben wird, auch ein eignes Sprachgebiet giebt für die Übersezungen, und ihnen manches erlaubt sein muß, was sich anderwärts nicht darf blikken lassen. Wer dennoch unbefugt solche Neuerungen weiter verpflanzt, wird schon wenig Nachfolger finden oder keine, und wenn wir die Rechnung nur nicht für einen zu kurzen Zeitraum abschließen wollen, so können wir uns schon auf den assimilirenden Prozeß der Sprache verlassen, daß sie alles wieder ausstoßen wird, was nur eines vorübergehenden Bedürfnisses wegen angenommen war, und ihrer Natur nicht eigentlich zusagt. Dagegen dürfen wir nicht verkennen, daß viel schönes und kräftiges in der Sprache sich erst durch das Übersezen theils entwikkelt hat, theils aus der Vergessenheit ist hervorgezogen worden. Wir reden zu wenig und plaudern verhältnißmäßig zu viel; und es ist nicht zu läugnen, daß seit geraumer Zeit auch die Schreibart nur zu sehr diese Richtung genommen hatte, und daß das Übersezen nicht wenig beigetragen einen strengeren Stil wieder geltend zu machen. Wenn einst eine Zeit kommt, wo wir ein öffentliches Leben haben, aus welchem sich auf der einen Seite eine gehaltvollere und sprachgerechtere Geselligkeit entwikkeln muß, auf der anderen freierer Raum gewonnen wird für das Talent des Redners, dann werden wir vielleicht für die Fortbildung der Sprache weniger des Übersezens bedürfen. Und möchte nur jene Zeit kommen, ehe wir den ganzen Kreis der Übersezermühen würdig durchlaufen haben!
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* Dies war im Ganzen noch der Zustand der Deutschen in jener Zeit, von welcher Göthe (A. m. Leben III. S. 111.) redend meint, prosaische Übersezungen auch von Dichterwerken, und solche werden immer mehr oder weniger Paraphrasen sein müssen, seien förderlicher für die Jugendbildung, und in so fern kann ich ihm völlig beistimmen; denn in solcher Zeit kann von fremder Dichtkunst nur die Erfindung verständlich gemacht werden, für ihren metrischen und musikalischen Werth aber kann es noch kein Anerkenntniß geben. Das aber kann ich nicht glauben, daß auch jezt der Vossische Homer und der Schleglsche Shakespeare nur sollten zur Unterhaltung der Gelehrten unter sich dienen; und eben so wenig, daß auch jezt noch eine prosaische Übersetzung des Homer zu wahrer Geschmakks und Kunstbildung sollte förderlich sein können; sondern für die Kinder eine Bearbeitung wie die Beckersche, und für die Erwachsenen jung und alt eine metrische Übersezung, wie wir sie freilich vielleicht noch nicht besizen; zwischen diese beiden wüßte ich jezt nichts förderliches mehr zu sezen.
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